Wer lebensgefährlich an Covid-19 erkrankt, muss rund um die Uhr überwacht und möglicherweise auch beatmet werden. Am Klinikum Passau geschieht dies seit vier Wochen auf der internistischen Intensivstation 55, die sich ausschließlich auf Covid-19-Fälle spezialisiert hat. Die Pflegekräfte weichen ihren Patienten nicht von der Seite, denn die neue Viruserkrankung ist ein launischer und gefährlicher Gegner.
Anton Winghardt leitet die 12-Betten-Station. Er ist seit 1991 im Haus, nach 22 Jahren Intensivpflege bewältigt er Krisensituationen mit der nötigen Ruhe und Routine. „Hier ist man immer gefordert“, sagt der 49-Jährige, denn auf einer Intensivstation geht es täglich um Leben und Tod. Covid-19 erzeugt aber auch bei ihm eine „gewisse Nervosität“. „Früher konnte ich abschalten und die Arbeit hinter mir lassen, wenn ich frei hatte“, erzählt Winghardt. Nun ist er ständig in Kontakt mit der Station. Winghardt hat Respekt vor dieser neuen Infektionskrankheit, weil sie ihm täglich vor Augen führt, wie unberechenbar und aggressiv sie sein kann: „Der Verlauf ist häufig sehr wechselhaft, er kann sich von einer Stunde auf die andere ändern.“ Das unterscheide Covid-19 etwa von einer herkömmlichen schweren Lungenentzündung. „Wenn der Patient hier eine gewisse Stabilität erreicht, geht es meist bergauf.“ Bei Covid-19 gibt es diese Sicherheit nicht. „Damit umzugehen, mussten wir erst lernen, anfangs belastete uns das sehr“, sagt Winghardt.
Die schwerkranken Covid-19-Patienten kommen in einem sehr kritischen Zustand auf die Intensivstation, bislang konnte der Großteil jedoch wieder stabilisiert werden. „Leider schaffen es aber nicht alle“, bedauert Winghardt. Vor allem für Menschen mit schweren Vorerkrankungen kann die Infektion tödlich enden. Die Schwestern und Pfleger telefonieren täglich mit den besorgten Angehörigen, die ihre Lieben derzeit nicht besuchen können und unter diesem Umstand zusätzlich leiden. Wenn die Pflege merkt, dass es mit einem Patienten zu Ende geht, wird alles unternommen, damit die Familie genügend Zeit hat, sich zu verabschieden, so würdevoll das in diesen Zeiten möglich ist. „Es ist noch keiner alleine gestorben und das ist uns auch ein großes Anliegen“, sagt Anton Winghardt. In Schutzkleidung dürfen die Angehörigen den Patienten dann auch noch einmal nahe sein, ihn berühren. „Für die Hinterbliebenen ist das sehr wichtig. Für sie muss das Leben schließlich weitergehen“, sagt Winghardt.
Am gestrigen Freitag (Stand Mittag) war die Covid-Intensivstation mit sieben Patienten belegt. „Diese Zahl können wir gut bewältigen“, sagt Winghardt. Der Großteil dieser Patienten ist zwischen 60 und 70 Jahre alt. Damit Schwestern und Pfleger sich nicht selbst anstecken, tragen sie OP-Haube, FFP2-Maske, Helm, Visier und Schutzkittel. Diese Montur - strenger als im OP - erschwert ihnen den Arbeitsablauf erheblich. Denn um häufiges Umziehen zu vermeiden, bleibt jede Pflegekraft fast die ganze Schicht direkt am Patienten. Das können bis zu zehn Stunden am Stück sein. Außerhalb des Zimmers arbeiten erfahrene Kollegen zu, reichen zum Beispiel Medikamente. Unterstützung gibt es auch von den Pflegeschülern. „Der Teamgeist ist im Moment besonders hoch", sagt die stellvertretende Stationsleiterin Veronika Kammerer (35). „Jeder bietet uns Hilfe an, springt auch im Urlaub ein. Im Moment rücken wir noch enger zusammen.“ Außerhalb des Klinikums macht sie gerade eine andere Erfahrung. „Ich habe das Gefühl, dass man uns im Moment meidet, aus Sorge, dass wir Pflegekräfte die Infektion nach draußen tragen." Dazu bestehe jedoch kein Grund, sagt Veronika Kammerer. Nicht nur bei der Arbeit lässt sie größte Sorgfalt walten, um sich und andere nicht gefährden. Auch privat hält sie sich penibel an die Abstandsregeln.
Pflegedirektor Peter Auer und sein Stellvertreter Christian Maier sind stolz auf die Leistung ihrer Leute. Das gilt für alle, die derzeit im Einsatz sind und insbesondere für das hochspezialisierte Intensiv-Personal. „Bei uns im Haus sind es aber auch die Strukturen, die uns Sicherheit geben“, sagt Christian Maier. In den vergangenen Jahren wurde der gesamte Intensivbereiche saniert und ist medizintechnisch auf dem neuesten Stand. Im Normalbetrieb laufen drei Intensivstationen parallel. Die Station 55 versorgt alle internistischen Fälle: dazu zählen Patienten mit akutem Herz-Kreislaufversagen oder inneren Blutungen. Dieses Kerngeschäft übernehmen derzeit die beiden anderen Intensivbereiche: die Station 24 mit Patienten aller operativen Disziplinen sowie die Station 24a, die herzchirurgische Patienten behandelt. „Wir stehen mit allen Bereichen in Kontakt“, sagt Anton Winghardt. Sämtliche Intensiv-Pflegekräfte mit freien Kapazitäten sind für die Station 55 abrufbar, auch Fachkräfte aus der Anästhesie. Dieser erweiterte Pool ist wichtig, damit die 1:1-Betreuung der Covid-19 Patienten lückenlos laufen kann.
Derzeit stehen am Klinikum insgesamt 26 Beatmungsbetten zur Verfügung. Bei Bedarf kann die Überwachungsstation („Intermediate Care“) mit weiteren Plätzen zusätzlich geöffnet werden. Würde sich die Lage besonders dramatisch entwickeln, könnten am Klinikum 40 Menschen gleichzeitig beatmet werden, sagt Peter Auer. Derzeit sieht es nicht nach solch einem Szenario aus. Am gestrigen Freitag, Stand Mittag, brauchten drei Patienten eine Beatmung. „Ich habe die Hoffnung, dass wir hier in Passau mit einem blauen Auge davonkommen“, äußert Anton Winghardt vorsichtigen Optimismus. Doch sicher weiß es keiner. Es kann sich stündlich ändern.
Kommt die befürchtete große Welle an Corona-Infizierten doch noch, ist das Klinikum gerüstet. Neben der Umstrukturierung des Intensivbereichs wurden ganze Abteilungen heruntergefahren, Operationen, die nicht zwingend sind, auf Eis gelegt. So wollte es auch die Allgemeinverfügung des Bayerischen Gesundheitsministeriums. Im Moment sind rund 330 Betten belegt. „Das ist weniger als sonst um die Weihnachtszeit“, beschreibt Werkleiter Stefan Nowack die aktuelle Situation. Wie es schrittweise wieder zurück in den normalen Klinikalltag gehen wird, ist auch für ihn gerade mit einem großen Fragezeichen versehen. Eine Botschaft ist ihm jedoch wichtig: „Auch in diesen Zeiten braucht keiner, der ernsthaft krank ist, Angst haben, in das Klinikum zu kommen.“ Gerade Notfallpatienten sollten deshalb keine wertvolle Zeit verlieren, wenn sie gefährliche Symptome verspüren. „Sie alle werden sicher versorgt.“
Die Station 55 kümmert sich derzeit ausschließlich um Covid-19-Patienten. Das Foto zeigt Stationsleiter Anton Winghardt (2.v.r.), dessen Stellvertreterin Veronika Kammerer (kniend vorne r.), links neben ihr Oberarzt Dr. Thorsten Weber und einen Teil der Teams. (Foto: Schlegl, Klinikum Passau)