Epilepsie ist eine relativ häufige neurologische Erkrankung. Doch trotz aller Aufklärung halten sich hartnäckig viele Klischees, mit denen Betroffene auch heutzutage zu kämpfen haben. Eines geht so: Epilepsie beginnt immer in der Kindheit oder Jugend; oder auch: Epilepsie ist nicht gut behandelbar. Mit weiteren Desinformationen und Vorurteilen räumten drei Experten beim ersten Patiententag am Klinikum Passau auf. Das Interesse war groß: Rund 70 Besucherinnen und Besucher saßen im gut gefüllten Hörsaal.
Als Chefarzt der Neurologie hat es Prof. Tobias Freilinger sehr häufig mit dem Thema Epilepsie zu tun: „Auch wenn die öffentliche Wahrnehmung eine andere ist: Epilepsie ist nichts Seltenes. Etwa ein Prozent der Bevölkerung ist davon betroffen.“ Ein epileptischer Anfall wird, vereinfacht gesagt, durch übermäßige elektrische Aktivität im Gehirn verursacht. Von einer Epilepsie spricht man allerdings erst dann, wenn solche Anfälle wiederkehrend auftreten. Bei einer einmaligen Episode, die bis zu 10 Prozent der Menschen im Laufe ihres Lebens haben, ist dies in der Regel nicht der Fall. Was die Ursachen der Krankheit Epilepsie betrifft, gibt es zwei große Gruppen: Die Ursache für Epilepsie kann einerseits genetisch bedingt sein. „Damit meint man, dass eine „angeborene“ Veränderung der elektrischen Erregbarkeit des Gehirns vorliegt“, erklärte Freilinger, wobei es sich hier in der Regel nicht um eine „Erbkrankheit“ im engeren Sinne, sondern vielmehr um eine „genetische Disposition“ handle. Oft treten die Anfälle dann bereits in der Kindheit oder Jugend auf, und bei den Betroffenen finden sich meist keine strukturellen Veränderungen im Gehirn. Anders ist die Situation bei der zweiten großen Gruppe, der sogenannten strukturellen Epilepsie. Hier finden sich ursächlich (oft durch andere Krankheiten verursachte) Veränderungen in verschiedenen Gehirnregionen, zum Beispiel Narben nach einem Unfall oder Schlaganfall, aber auch Entzündungen oder Fehlbildungen. Von dieser zweiten Gruppe von Epilepsien sind, anders als oft angenommen, eben nicht nur sehr junge Menschen betroffen, sondern oft kommt es auch erst bei Menschen in höherem Lebensalter oder sogar Senioren zu den ersten Krankheitssymptomen.
„Epilepsie hat viele Gesichter“, skizzierte der Chefarzt die Symptome der Erkrankung. Es ist mehr als „dieser eine große Anfall“, der auf Außenstehende oft sehr dramatisch und verstörend wirkt: Dabei „zuckt“ der Betroffene meist an Armen und Beinen, hat vielleicht Schaum vor dem Mund und verliert für zwei, drei Minuten das Bewusstsein. Doch daneben gibt es jedoch auch eine Reihe sogenannter „kleiner“ Anfälle: Dazu zählen reine Bewusstseinsstörungen, vorübergehende Sprachstörungen oder auch Bewegungsautomatismen (wie z.B. Nesteln oder auch Schmatzen). Bei der Diagnosestellung sind die Spezialisten auf eine möglichst genaue Krankengeschichte angewiesen. „Wertvoll sind dabei auch die Informationen von Angehörigen und Freunden, auch ein Handy-Video von einem Anfall kann aufschlussreich sein“, so Freilinger. Im Krankenhaus gehört zum diagnostischen Basis-Programm eine MRT-Aufnahme des Gehirns sowie ein EEG (Elektroenzephalogramm), das die Gehirnströme misst. „Die Ausbeute im EEG ist jedoch häufig gering, oft finden wir in der Routine-Untersuchung keine Diagnose-stellenden Auffälligkeiten. Dies spricht aber nicht gegen die Diagnose Epilepsie, das EEG ist nur ein Baustein“, beschrieb Freilinger das Dilemma.
Sehr gute Erfolge hingegen sind mittlerweile bei der Behandlung von Epilepsie zu erzielen. Mit anfalls-suppressiven Medikamenten, wie man die bislang meist als „Antiepileptika“ bezeichneten Substanzen heute nennt, kann bei 60 bis 70 Prozent der Betroffenen eine Anfallsfreiheit erreicht werden. Da die Medikamente die Anfälle nur unterdrücken, aber nicht heilen können, ist eine langfristige, zumeist lebenslange Einnahme nötig. Bei schwereren Fällen, die auf diese Therapie nicht ansprechen, kommen chirurgische Eingriffe oder stimulative Verfahren in Betracht, die spezialisierten Epilepsie-Zentren vorbehalten sind.
Neben dem gesundheitlichen Aspekt werden Menschen mit Epilepsie auch mit sozialen und rechtlichen Problemen konfrontiert. Diese sind manchmal schwieriger zu bewältigen als die Erkrankung selbst, weiß Diplom-Sozialpädagogin Ulrike Jungwirth, die als Epilepsie-Fachberaterin seit vielen Jahren die Epilepsie Beratung Niederbayern leitet, die in der Kinderklinik Dritter Orden untergebracht ist. Diese steht Betroffenen und ihren Angehörigen mit Rat und Tat zur Seite, ob es um Selbstmanagement der Krankheit, Probleme in der Partnerschaft, um das Thema Fahrverbot oder das Recht auf einen Grad der Behinderung (GdB) geht. „Da Epilepsie so gut behandelbar ist, sind für Betroffene auch viele Berufe machbar“, erklärte Jungwirth. Die Beratungsstelle ist deshalb auch ein wichtiger Ansprechpartner für Lehrer, Erzieher und Arbeitgeber. Zudem bietet sie ein umfangreiches Schulungsprogramm. Unter dem Motto „Wissen hilft viel“ findet am 13./14. Juli eine Patientenschulung statt, einen „Tag der Epilepsie“ gibt es wieder im Oktober. Die Epilepsie Beratung Niederbayern wird aus Mitteln des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Soziales, Familie und Integration, des Bezirks Niederbayern und der Kliniken Dritter Orden gGmbH, Standort Kinderklinik Passau, in Zusammenarbeit mit der Kinderkrankenhaus St. Marien gGmbH Landshut gefördert.
Aus Sicht einer Betroffenen schilderte Ulrike Dietrich ihr Leben mit Epilepsie. Ihren ersten Anfall hatte sie bereits 2009. Doch bis sie die Krankheit annehmen konnte, vergingen Jahre, was einen hohen Leidensdruck für sie und ihre Familie bedeutete. Auch den Austausch mit anderen hat Ulla Dietrich lange vermieden. Nun leitet sie die Gesprächsgruppe für erwachsene Menschen mit Epilepsie, kann offen und sogar selbstironisch über die Erkrankung reden. „Es ist wichtig, dass man Leute motiviert, zur Gruppe zu kommen“, machte sie anderen Betroffenen Mut und versicherte: „Jeder ist herzlich willkommen, es ist immer lustig bei uns“. Dafür spricht auch ein Lachseminar, das im November auf dem Programm steht. Eine von vielen gemeinsamen Aktivitäten, die Menschen mit Epilepsie das Leben leichter machen soll.
Weitere Informationen gibt es bei der Epilepsie-Beratung Niederbayern unter Tel. 0851/7205-207 sowie bei Ulrike Dietrich von der Gesprächsgruppe für erwachsene Menschen mit Epilepsie unter Tel. 0171/6405514.