Thorax-Chirurg Christian Großer und seine Patientin Gabi Wenig sind froh darüber, dass der Lungentumor zeitig erwischt und behandelt werden konnte. „Weil der Krebs im Frühstadium entdeckt wurde, sind die Heilungschancen hoch“, erklärt der Arzt. – Foto: Klinikum
Manchmal braucht’s einen Zufall oder gleich mehrere, dass ein größeres Unglück vermieden werden kann. Dass einem aber erst ein Auto über die Füße rollen muss, damit ein Lungentumor im Frühstadium entdeckt und behandelt wird – das klingt einigermaßen absurd. Doch genau das ist Gabi Wenig aus Eging am See passiert.
Detailliert kann sich die 70-Jährige an den Rosenmontag 2024 erinnern. An dem Februarabend möchte die pensionierte Lehrerin ihrem Sohn Krapfen vorbeibringen – da passiert es: Gabi Wenig parkt ihr Auto an abschüssiger Stelle, öffnet die hintere Tür, plötzlich beginnt das Auto zu rollen. Die Egingerin gerät unter den Wagen, ihr Kopf schlägt auf dem Boden auf, die Hinterreifen zerquetschen ihre Füße. „Plötzlich sehe ich, dass die Vorderräder auf meinen Kopf zukommen“, erinnert sich Gabi Wenig. Sie schickt ein Stoßgebet gen Himmel: „Bitte, lieber Gott, lass das nicht über meinen Kopf rollen!“ … und hat riesiges Glück im Unglück: Der Reifen touchiert nur ihre Haare, der Kopf bleibt unversehrt. Das Auto kommt am nächsten Hang zum Stillstand. Gabi Wenig rappelt sich auf, parkt das Auto korrekt, nimmt die Krapfen und geht ins Haus ihres Sohnes – trotz gequetschter Beine. „Alles klar, ich hab‘ einen Schock“, weiß die erfahrene BRKlerin da bereits. Als kurz darauf ihre Kinder die Wunden an den Füßen entdecken – alles geschwollen, blau und blutig –, bringen sie ihre Mutter in die Zentrale Notaufnahme am Klinikum Passau, wo sie geröntgt wird.
Und hier schlägt erneut der Zufall zu: Obwohl man sich in der ZNA eigentlich nur Wenigs Kopf und die schmerzenden Schultern anschauen möchte, wird auch der obere Teil der Lunge vom Röntgenbild gestreift. Dr. Andrea Penz, Unfallchirurgin am Klinikum, erkennt eine Auffälligkeit der Lunge, vermerkt dies im Bericht. Nur so nehmen die Dinge ihren Lauf: Ihr Hausarzt schickt Gabi Wenig kurze Zeit später zum Lungenarzt und zum CT. „Lungenkrank – ich? Ich hab‘ doch nie geraucht“, denkt Gabi Wenig da noch. Doch das neue Bild zeigt weiterhin einen Schatten auf dem Organ. Ein Schatten, der keine Schmerzen verursacht. Ein Schatten, der unter anderen Umständen lange unentdeckt geblieben wäre – mit womöglich verheerenden Folgen.
„Die große Problematik des Lungenkrebses ist: Es gibt keinen verlässlichen Tumormarker, sodass etwa ein Hausarzt ihn anhand von Laborwerten feststellen kann. Man sieht so etwas nur im Röntgenbild, am besten im CT“, erklärt Christian Großer, der am Klinikum Passau die Thorax-Chirurgie leitet. Die andere Krux ist die: „So ein Lungentumor verursacht keine Schmerzen, Betroffene zeigen lange Zeit keine eindeutigen Symptome.“
Knapp zwei Monate nach ihrem Unfall sitzt Gabi Wenig Christian Großer erstmals gegenüber. „Seine Offenheit habe ich von Anfang an geschätzt – er hat mir anhand der CT-Bilder alles genau erklärt, als ich selbst noch gar nicht wusste, was los ist“, erinnert sich die Patientin. „Er hat mich davor gewarnt, dass es nach der OP schlechte Tage geben wird, dass ich Schmerzen habe werde. Gleichzeitig aber hat mir Herr Großer die Angst genommen, ich habe mich geborgen und sicher gefühlt.“
Ein kleiner Schnitt reicht: Bei der OP am 23. April kann der Chirurg minimal-invasiv vorgehen, er schneidet über drei kleine seitliche Zugänge ein Stückchen der Lunge mit dem unklaren Herd zur Gewebeprobe heraus. Noch während der OP geht diese Probe zum Pathologen, der per Schnellschnittdiagnose in der Regel unmittelbar feststellen kann, ob es sich um gutartiges oder bösartiges Gewebe handelt. „Bei manchen Patienten weiß man dies bereits durch eine Lungenspiegelung – dann fällt dieser Extra-Schritt weg“, erklärt Großer.
Im Fall von Gabi Wenig hat der Pathologe schlechte Nachrichten: Der Tumor ist bösartig. Die gute Nachricht: Das Adenokarzinom, übrigens die häufigste Art von Lungenkrebs, befindet sich noch im Frühstadium, hat die Lymphknoten nicht befallen, keine Metastasen anderswo im Körper gebildet. In der insgesamt dreistündigen OP entfernt Christian Großer den oberen rechten Lungenlappen sowie die umliegenden Lymphknoten in minimal invasiver Technik. „Wir entfernen nicht mehr Lunge als nötig“, betont der Thorax-Chirurg.
Nach dem Eingriff bleibt sie eine knappe Woche im Klinikum, hat täglich Kontakt mit Herrn Großer und seinem Team, fühlt sich gut betreut. „Mein Befinden war nicht schlecht, ich war danach nicht gehandicapt“, sagt sie. Auch dank der Akku-Pumpen, die dafür sorgen, dass die Lunge wieder ausgedehnt wird, sind Patienten heute mobiler als noch vor wenigen Jahren, als ein großer Kasten verhinderte, dass man kaum das Bett verlassen konnte. „Am schönsten war dann schließlich der Samstag, als Herr Großer gesagt hat: Alles gut! Ein frühes Tumorstadium!“ Wieder Glück im Unglück: Eine anschließende Bestrahlung oder Chemotherapie muss Gabi Wenig daher nicht über sich ergehen lassen. Nach dem Klinikaufenthalt absolviert Gabi Wenig eine dreiwöchige Reha in der Diakoneo Rangauklinik in Ansbach. Heute hat sie keine Einschränkungen mehr. Nur die Beine, die bereiten ihr seit dem Unfall nach wie vor Probleme – weit mehr als der Eingriff an der Lunge.
Aktuell befindet Gabi Wenig sich in der sogenannten Heilbewährungszeit: Fünf Jahre lang muss sie im Halbjahres-Rhythmus ins Klinikum zur Nachuntersuchung kommen. Das spukt ihr dann schon im Kopf herum, sagt sie, „vor allem wenn sich der Termin nähert“. Sonst gibt es genug Ablenkung – Ehrenamt, Hobbies, Zeit mit ihren Kindern und Enkeln. Zeit, die ihr womöglich ohne all die Zufälle nicht gegönnt gewesen wäre: „Weil der Krebs im Frühstadium entdeckt wurde, sind die Heilungschancen hoch“, erklärt Christian Großer. Die meisten Betroffenen hingegen kämen erst mit Symptomen – „60 bis 75 Prozent sind dann nicht mehr heilbar“. Der Experte betont daher: „Jeder unklare größere Herd in der Lunge sollte abgeklärt werden“, manchmal handele es sich schlicht auch nur um Vernarbungen etwa nach einer Entzündung. Dass es ab 2026 eine von den Krankenkassen übernommene Früherkennung für die Risikogruppe der Raucher geben wird, begrüßt Großer, denn über 90 Prozent der Betroffenen hätten geraucht. „Die Hoffnung ist, dass man dadurch die Frühstadien besser auffindet“, sagt er und appelliert an die Hausärzte, ihre Patienten auf die neue Möglichkeit aufmerksam zu machen. Ein Tumor wie der von Gabi Wenig wäre in einem solchen Screening herausgefischt worden, ist sich Großer sicher. Doch seine Patientin hatte zum Glück ihre riesige Portion Glück im Unglück.
Christian Großer leitet seit 07/2023 das „Department für Thorax-Chirurgie“ am Klinikum Passau, das in den letzten Jahren stetig ausgebaut wurde. Es besteht eine enge Anbindung an das Lungenkrebszentrum am Universitätsklinikum Regensburg. Damit bietet das Klinikum Passau das volle Spektrum der Thorax-Chirurgie - abgesehen von komplexen Luftröhreneingriffen. Das Klinikum Passau ist dadurch in der Lage, eine umfassende thoraxchirurgische Versorgung im ostbayerischen Raum anbieten zu können. Grundsätzlich sind am Klinikum im Bereich der Thorax-Chirurgie von minimal-invasiven Operationen bei kleineren Tumoren über die Entfernung größerer Tumore in konventioneller Technik bis hin zum Brustwandersatz alle Eingriffe möglich.
Neue Früherkennung
Tabakkonsum ist der Hauptrisikofaktor für Lungenkrebs. Voraussichtlich ab April 2026 wird daher für starke Raucher und ehemalige starke Raucher im Alter von 50 bis 75 Jahren eine Lungenkrebsfrüherkennung als Kassenleistung eingeführt. Die Früherkennung soll mittels Niedrigdosis-Computertomographie erfolgen und einmal jährlich von den GKV übernommen werden.